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Schweiz

Ich bin auch ein Zug!

20. Dezember 2023

Ein Lastwagen auf der Strasse ist nicht unbedingt etwas Besonderes, trifft man ein Strassenfahrzeug auf einer Eisenbahnstrecke an, ist dies eher ein ungewöhnliches Bild. Auf dem stillgelegten Bahngleis zwischen Etzwilen TG und Singen (D) fahren normalerweise nur noch nostalgische Dampfbahnen mehrerer Stiftungen und Vereine. Doch werden dort auch immer wieder neue Lokomotiven oder Wagons getestet. Die Müller Technologie AG aus Frauenfeld nutzt dies ebenfalls für die Durchführung ihrer Praxistests. So waren vor kurzen zwei Scania Fahrzeuge zwischen Ramsen und Etzwilen auf den Schienen anzutreffen.

 

Die Müller Technologie aus Frauenfeld entwickelt, baut und wartet Maschinen für den modernen Gleisbau. Dies können Zweiwege-Lastwagen, Lösch- und Rettungsfahrzeuge, Gleisbagger, selbstfahrende Bahnwaggons usw. sein. Rund 50 Personen sind bei der Müller Technologie AG in Frauenfeld beschäftigt. Zu den Kunden gehören einerseits privatrechtliche Gleisbau-Unternehmen, welche sich nach detaillierter Bedarfserklärung und Beratung für die angebotene technische Lösung entscheiden. Die zweite Kundengruppe besteht aus öffentlich-rechtlichen Unternehmen, wie zum Beispiel Bahnbetreiber. Ihr Bedarf unterscheidet sich nicht wesentlich von den privatrechtlichen Unternehmen, jedoch müssen sie die Beschaffung über eine öffentliche Ausschreibung tätigen.

 

Scania Zweiwege-Fahrzeuge

Gleich zwei neue Scania Fahrgestelle fanden den Weg zur Müller Technologie AG, wo die von den Kunden gewünschten Komponenten aufgebaut wurden. Bei beiden Basis-Fahrzeugen handelt es sich um einen Scania G 500 B 8x4*4 HA. Wie so oft bei Spezialfahrzeugen wurden beide bereits mit einem Namen versehen. Der beigefarbige Scania wurde auf den Namen «Rudolf» getauft. Er wird an die Bahninfra AG (Abteilung Fahrleitung) geliefert. Die Bahninfra AG begleitet als Ingenieurbüro der Müller Gruppe die Bauvorhaben auf oder neben dem Gleis von der Machbarkeitsstudie bis zur Realisierung. Rudolf wird vor allem für Korbarbeiten im Fahrleitungsbau eingesetzt. Im Personenkorb seines Vollblut-Rail-Krans werden Fahrdrähte richtig eingestellt oder alte durch neue Drähte ersetzt. Nebenbei zählt auch das Setzen von Fahrleitungsmasten und -jochen zu seinen Aufgaben. Rudolf wird mehrheitlich in der Deutschschweiz unterwegs sein.

 

Der zweite, in dunkelblau gehaltene Scania, genannt YAK2, wird für die Tensol Rail SA in Giornico TI, Schwesterfirma der EFSA SA, im Einsatz sein. Dort wird er das zentrale Werkzeug bei Gleis- und Weichenreparaturen sein. Dort wo verschlissene oder gebrochene Schienenstücke ersetzt oder Weichen umgebaut werden müssen, wird YAK2 die Baustellen mit Werkzeug und Material beliefern und auch wieder wegführen. YAK2 wird vorwiegend im Tessin und in der Romandie seine Arbeit verrichten.

 

Für die Scania Fahrgestelle hat man sich wegen der kurzen Lieferfrist entschieden. Den Eigentümern von YAK1, dem älteren Bruder des neuen YAK2, war die Lieferfrist des Mitbewerberprodukts zu lange. Scania versprach Ende 2021, in einer sehr schwierigen Zeit, eine definierte Lieferfrist. Das war schlussendlich ausschlaggebend. Für die Müller Technologie AG war im mechanischen Bereich das Baukastensystem von Scania ein grosser Vorteil. Sämtliche Anpassungen konnten mit Scania Originalbauteilen umgesetzt werden. Zu den grösseren Herausforderungen zählt beim Aufbauen jeweils die Aufbauer-Schnittstelle. Da ist oft Ausdauer und Ideenreichtum gefragt.

 

Die Zweiwege-Einrichtung für schwere LKWs ist so konstruiert, dass für den Wechsel zwischen Normal- und Meterspur nur die Gleisräder ausgetauscht werden müssen. Um Steilstrecken mit einem Gefälle von > 60‰ fahren zu dürfen, können die Drehgestelle mit Magnet-Schienenbremsen ausgerüstet werden. Die komplette Zweiwege-Einrichtung ist fast so schwer wie das Basisfahrzeug selbst. Bei der Konzeption vom Aufbau, ob mit Kran vorne oder hinten aufgebaut, Ladebrücke, Kanalreiniger oder Böschungsmäher, die Müller Technologie AG erfüllt dem Kunden fast alle Wünsche.

 

Teststrecke

In Ramsen, unweit der Grenze zu Deutschland, wurden beide Fahrzeuge auf einem Bahnübergang auf die Schienen gefahren, um verschiedene Tests auszuführen. Die Strecke führte nach Hemishofen und weiter über die imposante Brücke über den Rhein nach Etzwilen. Mit dem einen Fahrzeug wurden zwischen Etzwilen und Hemishofen verschiedene Bremsmanöver, wie Bremskontrolle (System füllen/Bremse lösen), Wagonbremse, Not-Halt mit Wagon, Schlauchabriss und Fahrt bei maximaler Anhängelast ausgeführt. Währenddessen testete man das andere Zweiwege-Fahrzeug auf der Strecke zwischen Hemishofen und Ramsen auf Bremswegmessung bei 20 und 40 km/h, Not-Halt bei denselben Geschwindigkeiten, sowie Dauerfahrt vor- und rückwärts bei 40 km/h und das Fahren ab Funkfernsteuerung. Auch die Kranfunktionen wurden an den beiden Fahrzeugen via Fernsteuerung erprobt.

 

Dass solche Zweiwege-Fahrzeuge nicht alltäglich sind, bewiesen auch die Anwohner der Bahnstrecke und interessierte Hobby-Fotografen, welche es sich nicht nehmen liessen, aus nächster Nähe die beiden Scania auf dem Bahngleis mitzuverfolgen. Ein Scania kann also auch ein Zug sein!

 

Technische Daten Scania G 500 B 8x4*4 HA

”Rudolf”, Bahninfra AG und ”YAK2”, Tensol Rail SA

 

Fahr-/Arbeitsmotor(en):DC13 165 EURO 6e
Leistung:500 PS
Hubraum:13 Liter
Drehmoment:2’550 Nm
Getriebe:GRSO 905R, 3'000 Nm, 12+2 Gänge inkl. Overdrive, Opticruise
Retarder:R4100
Kabine:CG17L, Ausführung XT
Nachlaufachse:Lift- und lenkbar
Fahrzeuglänge:11’398 mm
Fahrzeugbreite:2’550 mm
Fahrzeughöhe:3’916 mm (ab SOK)
Radstand:4’950 mm
Beleuchtung:LED
Sicherheitssysteme:Notbremsassistent
 Spurassistent
 Abstandsregelung
 Rückfahrkamerasystem Orlaco
  
Technische Daten Aufbau 
Aufbau:Müller Technologie AG, Frauenfeld
Maschinenkategorie:9A, 2-Wege-Fahrzeuge
Einsatzgebiet:Schweiz
Spurweite:Schienenradsatz 1’000 mm / 1’435 mm
Schienenradsätze:4 Stück
Drehgestelltyp(en):2-achsig
Radius horizontal:27 Meter, kleinster befahrbarer horizontaler Radius (Fahrzeug allein und in Arbeitsstellung)
Radius vertikal:100 Meter, Kleinster befahrbarer vertikaler Radius
  
Gewichte und Anhängelast 
Gewicht:32 Tonnen, Betriebsmasse im betriebsbereiten Zustand (Dienstfahrzeuge)
Zuladung Schiene:Rudolf 12 Tonnen / Yak2: 17.4 Tonnen
Zuladung Strasse:Rudolf 0 Tonnen / Yak2 5.4 Tonnen
Zulässiges GW:Schiene: 44.0 Tonnen / Strasse: 32 Tonnen
Anhängelast:0 ≤ i ≤ 10 [‰] 107 t
 10 < i ≤ 20 [‰] 69 t
 20 < i ≤ 30 [‰] 48 t
 30 < i ≤ 40 [‰] 34 t
Antriebsart/Kraftübertragung hydrostatisch 
Betriebliche Höchstgeschwindigkeit Eigenfahrt 40 km/h 
Betriebliche Höchstgeschwindigkeit geschleppt 5 km/h 
Betriebliche Höchstgeschwindigkeit über Weichen (2-Wege-Fahrzeuge/Anhänger) 10 km/h 
Betriebliche Höchstgeschwindigkeit Arbeitsstellung 5 km/h 
Bremsbauart Scheibenbremsen 
Feststellbremse Bauart Negativ-Lamellenbremse 
Magnet-Schienenbremse, je zwei Magnete pro Drehgestell 
Traktionsart Einzeltraktion 
Maximale Steigung: Rudolf 80 ‰ / Yak2 60 ‰ 
  
Kran und Fernsteuerung 
Rudolf: Palfinger PKR 290 / Yak2: Palfinger PK 29002 
Fernsteuerung (Typ): Palfinger PALcom P7 (Kran) 

 

Für Scania Schweiz AG Rahel Cathomas

Scania ist ein weltweit führender Anbieter von Transportlösungen. Gemeinsam mit unseren Partnern und Kunden treiben wir den Wandel hin zu einem nachhaltigen Verkehrssystem voran. Im Jahr 2021 lieferten wir 85'930 Lkw, 4'436 Busse sowie 11'786 industrielle und maritime Antriebssysteme an unsere Kunden aus. Der Nettoumsatz belief sich auf über 146 Milliarden SEK, wovon über 20 Prozent auf Dienstleistungen entfielen. Scania wurde 1891 gegründet, ist heute in mehr als 100 Ländern tätig und beschäftigt rund 54'000 Mitarbeiter. Forschung und Entwicklung sind hauptsächlich in Schweden angesiedelt. Die Produktion findet in Europa und Lateinamerika statt, mit regionalen Produktzentren in Afrika, Asien und Eurasien. Scania ist Teil der TRATON GROUP. Für weitere Informationen besuchen Sie: www.scania.com.

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